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Kein Herz für Nahrungsergänzungsmittel?

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„Die richtige Dosis an Vitaminen & Mineralstoffen ist Grundlage für eine gesunde Herzfunktion“ – so oder ähnlich werben derzeit einige Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln (NEMs). In wie weit stimmt das? Und können NEMs den Erhalt unserer Herzgesundheit unterstützen beziehungsweise das Risiko einer Erkrankung reduzieren? Dieser fünfte Artikel unserer „Wissen Was Wirkt“ – Serie zu Ernährung und kardiovaskulären Erkrankungen setzt sich mit der Frage auseinander, ob es Evidenz gibt, dass Vitamin- und Mineralstoffsupplemente Einfluss auf die Entstehung koronarer Herzkrankheiten haben.

Dieser Beitrag vertritt die persönliche Sicht von Dr. Anja Dahten, Ernährungswissenschaftlerin und Mitarbeiterin von Cochrane Deutschland.

Die Aussage, dass Vitamine und Mineralstoffe für eine gesunde Herzfunktion sorgen, stimmt natürlich grundsätzlich, denn unser Organismus kann ohne essentielle Nährstoffe langfristig nicht funktionieren – auch nicht unser Herz. Wenn es allerdings um die Frage geht, ob durch die zusätzliche Zufuhr von Vitaminen und Mineralstoffen in Form von Nahrungsergänzungsmitteln unsere Herzgesundheit verbessert werden kann, wird die Sache deutlich komplexer. Als Ernährungswissenschaftlerin trete ich dem Versprechen, dass NEMs unsere Herzgesundheit verbessern können, sehr kritisch gegenüber. Im Folgenden erkläre ich, warum.

Die Fakten – Welche Wirkungen können wir von einem Nahrungsergänzungsmittel erwarten?

FAKT Nr. 1
NEMs sind definitionsgemäß Lebensmittel und werden rein rechtlich auch so behandelt. Sie durchlaufen kein aufwendiges Zulassungsverfahren (wie Arzneimittel), sondern unterliegen lediglich einer formalen lokalen Registrierungspflicht. Das Produkt darf dann tatsächlich „zeitgleich mit erfolgter Anzeige (…) in den Verkehr gebracht werden.“

Fazit: Der Fakt, dass ein Nahrungsergänzungsmittel registriert wurde, sagt nichts über die Unbedenklichkeit bezüglich seiner Sicherheit und schon gar nicht seiner Wirkung aus.

FAKT Nr. 2
Vielleicht haben Sie sich schon einmal gefragt, warum es nicht mehr so zahlreiche „vielversprechende“ Lebensmittel im Supermarkt gibt, die unsere Gesundheit verbessern und unsere Abwehrkräfte stärken wollen? Seit Ende des Jahres 2012 müssen auf europäischer Ebene alle sogenannten gesundheitsbezogenen Angaben von Lebensmitteln (Health Claims), von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) überprüft und genehmigt worden sein. Dies schließt auch die Sicherheit des Produktes mit ein. Zur Zulassung bedarf es u. a. einer überzeugenden Anzahl klinischer Studien an gesunden Probanden. Die überwiegende Mehrheit aller beantragten Health Claims wurde bisher abgelehnt.

Fazit: Aussagen zu gesundheitsverbessernden Wirkungen durch den Genuss bestimmter Lebensmittel sind derzeit auf EU-Ebene nicht überzeugend belegbar.

FAKT Nr. 3
Die gesundheitsfördernde Wirkung von im Handel erhältlichen NEMs kann laut Verbraucherschutz derzeit nicht lückenlos durch die Behörden geprüft werden.

Fazit: Wir Verbraucher müssen eigenverantwortlich informierte Entscheidungen treffen. Unterstützende Informationen mit Bezug auf aktuelle Untersuchungen finden Sie in Deutschland u. a. beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und auf den Webseiten der unabhängigen Verbraucherzentralen der Bundesländer.

Meine, daraus folgenden Hinweise für die Praxis

  • Seien Sie skeptisch, wenn Ihnen NEMs versprechen, Krankheiten heilen oder lindern zu können – auch wenn sie noch so „herzlich“ wirken. In diesem Fall halten Sie entweder ein nicht zugelassenes Arzneimittel in der Hand, von dem Sie die Nebenwirkungen nicht kennen oder ein nicht geprüftes Nahrungsergänzungsmittel, von dem Sie keine Wirkung erwarten sollten. Beides ist meiner Meinung nach nicht zu empfehlen.
  • Seien Sie kritisch, wenn NEMs Ihnen versprechen, dass sie das Risiko reduzieren können, eine Herz-Erkrankung zu bekommen. Dieser Fakt muss transparent nachgewiesen worden sein.
  • Am plausibelsten ist es, dass ein NEM Nährstoffe enthält, die zum Erhalt der „normalen“ physiologischen Funktionen beitragen.

Dennoch, Aussagen zur gesundheitsfördernden Wirkung von NEMs entsprechen nicht immer dem aktuellen Stand der Forschung, da der Prozess von der Einreichung bis zur Zulassung Jahre dauern kann.

Die Forschung – Wie ist der aktuelle Stand?

Bereits im Mai 2018 warnte die Online-Zeitschrift ärzteblatt.de: „Fast kein Nahrungsergänzungsmittel senkt das Risiko für Herzkrankheiten“. Diese Aussage wurde auf die Ergebnisse einer sehr umfangreichen systematischen Übersichtsarbeit mit Metaanalyse vom Juni 2018 gestützt. Untersucht wurden 179 randomisierte kontrollierte Studien zur Verwendung von verschiedenen Vitaminen und Mineralstoffen, die zwischen Januar 2012 bis Oktober 2017 publiziert wurden. Weder einzelne Komponenten (Vitamin D, Calcium, Vitamin C, Betacarotin und Selen) noch gemischte Multivitaminpräparate zeigten hier einen nachweisbaren Nutzen für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Myokardinfarkten oder Schlaganfällen. Auch generell leben wir wohl mit NEMs nicht länger, denn die Gesamtmortalität blieb sowohl mit als auch ohne NEMs unverändert. Allein Folsäure (mit und ohne Niacin) verringerte in dieser Übersichtsarbeit das Risiko eines Schlaganfalls. Für einen aussagekräftigen Beweis bedarf es jedoch weiterer Studien.

Noch im gleichen Jahr machen sowohl die Deutsche Gesellschaft für Neurologie als auch die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft auf die Ergebnisse einer weiteren umfassenden Metaanalyse aufmerksam. In diese wurden alle relevanten Studien eingeschlossen, die zwischen Januar 1970 und August 2016 publiziert wurden. Die aktuelle Schlussfolgerung im Ärzteblatt war: „Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamine und Mineralien können das Risiko nicht vermindern, an einem Hirninfarkt oder einer Herzkrankheit zu sterben“.

Selbst der große Hoffnungsträger Vitamin D enttäuschte: Während sich in einem Cochrane-Review aus dem Jahr 2014 (56 eingeschlossenen Studien; 95,286 Teilnehmende) zumindest „einige Evidenz“ bezüglich der Senkung von Herzinfarkten und Schlaganfällen zeigte, konnte dieses Ergebnis in einer aktuellen, umfangreichen Metaanalyse von 2019 nicht bestätigt werden. Auch nach mehr als einem Jahr zusätzlicher Vitamin D Einnahme, veränderten sich das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall nicht.

Die Praxis – Glauben statt Wissen?!

Befragt man statista nach aktuellen (ab 2018) Erhebungen zu Umsatzverteilungen von Nahrungsergänzungsmitteln im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz), so erhält man die Information, dass laut IQVIA zumindest in Deutschland „rund 2,1 Milliarden Euro mit Nahrungsergänzungsmitteln umgesetzt wurden“. Dabei ist die Tendenz zu den Vorjahren steigend. Von den NEMs entfielen dabei 10 Prozent auf vermeintliche „Herz- und Kreislaufmittel“.

Die oben angeführten aktuellen Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die aktuelle wissenschaftliche Evidenz den Konsum von NEMs, insbesondere von „Herz- und Kreislaufmitteln“, nicht überzeugend rechtfertigt. Deshalb investiere ich lieber (auch um meinen Neujahrsvorsätzen gerecht zu werden) in einen gesünderen Lebensstil mit mehr Bewegung, aber weniger tierischen Fetten und Zucker. Dieser unterstützt dann auf natürliche Weise meine Herzgesundheit – und kostet nicht einmal mehr.

Herzlichst,

Anja Dahten (Autorin)

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