Vorstellungen und Evidenz

Fakt oder Fiktion: wie und warum ich Cochrane Evidenz in der Lehre nutze

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Vorstellungen davon, wie die Welt funktioniert, prägen unser Leben. Vorstellungen sind auch unsere Filter, durch die die ständig auf uns einwirkende Wissens- und Informationsflut strömt. Herzhaftes Halb-Wissen und eine verzerrte Wahrnehmung der Fakten sind oft das Resultat. Vor allem im Bereich Gesundheit, so meine Erfahrung, neigen wir dazu, unseren Vorstellungen freien Lauf zu lassen. Wie Cochrane Evidenz mir dazu verhilft, Vorstellungen mit fundiertem Wissen zu verknüpfen, möchte ich in diesem Erfahrungsbericht kurz vorstellen.

In meiner bisherigen Praxiserfahrung als Dozent der Gesundheitspädagogik werde ich oft mit ‚Vorstellungen‘ konfrontiert, also mit individuellen Interpretationen der Welt oder ‚Um‘-welt, deren Wechselwirkungen und Gesetzmäßigkeiten. Natürlich liegt das Augenmerk meiner Arbeit auf Vorstellungen, die gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen zu Grunde liegen.

„Regelmäßige Bewegung verhindert Herzinfarkt“, oder etwa doch nicht?

Ein Beispiel wäre die Vorstellung „regelmäßige Bewegung reduziert das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden.“ Ein anderes ist „regelmäßige Bewegung verhindert, dass ich einen Herzinfarkt erleide“. So ähnlich sie klingen, so unterschiedlich sind die darin verbunden Aussagen. Zur Komplettierung sei noch folgende Aussage genannt: „Jetzt noch mit dem Rauchen aufzuhören bringt mir nichts mehr“.

Können Vorstellungen falsch sein?

All diese Vorstellungen resultieren aus dem bereits Erlebten, also der individuellen und/oder kollektiven Erfahrung. Die beiden ersten Vorstellungen könnten zum Beispiel durch das Lesen einer einzelnen Information entstanden sein. Aufgrund bisheriger Erfahrungen und persönlicher Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel der Intelligenz oder Expertenwissen, werden verschiedene Aussagen unterschiedlich gewichtet und interpretiert. So liegt am Ende eine Vorstellung möglicherweise näher an einer „fachlichen Realität“ als die andere. Was aber alle Vorstellungen gemeinsam haben, ist, dass sie nicht „falsch“ sind.

In einem Studienfächer-übergreifenden Seminar zur evidenzbasierten Gesundheitsinformation wird mir häufig die Frage gestellt „Und was ist jetzt richtig?“ Auch privat bekomme ich viele Diskussionen zu unterschiedlichen gesundheitsrelevanten Themen mit, vor allem wenn es um die richtige Ernährung geht, aber auch zu vielen anderen Bereichen. Woran das liegt? Vereinfacht gesagt liegt es daran, dass es so viele Vorstellungen wie Menschen gibt. Jeder hat sein eigenes Konzept davon, was gesund ist, was funktioniert, und was nicht. Genährt wird dies durch ein Überangebot an Informations- und Erfahrungsquellen.

Hier gibt es meiner Erfahrung nach zwei Probleme:

1. Gesammelte Informationen und Erfahrungen können durchaus dem widersprechen, was ich hier als ‚fachliche Realität‘ bezeichnen möchte.

2. Man neigt stark dazu, nur die gesammelten Informationen und Erfahrungen in seine Vorstellungen zu integrieren, die diese ergänzen oder bestätigen.

Klar muss es ein Ziel der gesundheitspädagogischen Intervention sein, Vorstellungen, die gesundheitsschädliches Verhalten begünstigen, zu modifizieren oder zu ersetzen. Aber wodurch? Wo finde ich diese „fachliche Realität“? Das ist eigentlich die Frage, die ich zu beantworten versuche, wenn ich mal wieder „und was ist jetzt richtig?“ höre. Und in diesem Fall bediene ich mich, sofern das möglich ist, nicht meiner Vorstellung, sondern objektiver Evidenz.

Cochrane Evidenz schafft Klarheit im Unterricht

So konnte ich Cochrane-Reviews bereits mehrmals gezielt als Lehr- beziehungsweise Anschauungsmaterial für mein Seminar nutzen. Ein konkretes Beispiel:

Im vergangenen Winter fiel die Grippe-Welle besonders stark aus. Dementsprechend wurde im Wintersemester über den Sinn oder Unsinn der Grippe-Impfung diskutiert. Speziell zu diesem Thema erschien bereits ein ‘Wissen Was Wirkt’ -Beitrag, den ich mit dem zu Grunde liegende Review als Lehrmaterial nutzten konnte, um das Thema fachlich anzugehen.

In Hinblick auf die Studienleistung, die Entwicklung von Gesundheitsinformation, die auf eine speziell definierte Zielgruppe zugeschnitten war, lieferte Cochrane hier ein ideales Muster. Dabei lag das Augenmerk darauf, evidenzbasierte Information laiengerecht zu formulieren. Es konnten Möglichkeiten und potenzielle Fallstricke identifiziert werden. Welche statistischen Informationen sollen kommuniziert werden? Welche Formulierungen sind kritisch, weil sie entweder unverständlich sind oder falsch interpretiert werden können?

Mein Anliegen war es, Studierende für die Evidenz zu sensibilisieren und diese laienverständlich aufzuarbeiten. Wenn ich auf die Ergebnisse der Seminararbeiten schaue, sehe ich, dass dies (zumindest in manchen Fällen) gefruchtet hat.

Als Gesundheitswissenschaftler habe ich persönlich von Cochrane und ‘Wissen Was Wirkt’? profitiert und kann die Anwendung in der Lehre empfehlen. Und sei es nur, damit man als ‚Experte‘ nicht den Fehler macht, seine eigene Vorstellung, die sich im Laufe der Zeit aus verschiedenen Informationen und Erfahrungen gebildet hat, der Realität überzuordnen.

Text: Tobias Leiblein.

Tobias Leiblein

Über den Autor: Während meines Studiums der Gesundheitspädagogik begann ich 2015 als wissenschaftliche Hilfskraft für Cochrane Deutschland zu arbeiten. Dort bin ich bis heute in der Organisation der Workshops tätig. Nach Beendigung meines Studiums 2017 nahm ich meine Tätigkeit als Doktorand und Dozent an der Pädagogischen Hochschule Freiburg auf. Außerhalb des Berufs ist Sport, speziell Triathlon, ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens.

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